Band 126 – Herausforderung Stadtregionen (2014)

Andreas Hacker: Stadt & Region, Wien und „sein“ Umland

In Wien und den angrenzenden Umlandgemeinden leben Menschen in zwei Bundesländern bzw. in rund 70 Gemeinden unterschiedlichster Größenordnung: Von der Millionenstadt Wien bis zu den vielen, mitunter sehr kleinen Landgemeinden.

Kooperation in einer dynamischen Stadtregion braucht einen langen Atem und ist wenig öffentlichkeitswirksam. Ballungsräume haben in der Diskussion rund um Regionalentwicklung in Österreich mittlerweile an Stellenwert gewonnen, auch wenn sich ein Großteil der Regionalpolitiker hauptsächlich für die ländlichen Räume einsetzt. Die Arbeit und auch die Resonanz im Stadt Umland Management Wien Niederösterreich stimmen optimistisch, dass es zukünftig besser gelingen wird, sich inhaltlich abzustimmen und gemeinsame Entwicklungsstrategien zu erarbeiten. Voraussetzung dafür ist der entsprechende politische Wille vor Ort.

Es braucht dazu nicht unbedingt eine Verwaltungsreform, die Gründung eines „Planungsverbandes“ wie z.B. in deutschen Stadtregion oder gar die Etablierung eines zusätzlichen politischen Gremiums (Regionalparlament). Stattdessen ist die Bereitschaft aller notwendig, sich gegenseitig zu informieren, partnerschaftlich in Diskussionsprozesse einzusteigen und die Ergebnisse ernst zu nehmen.

Bernd Gassler, Christian Nußmüller: Stadtregion Graz - ein zartes Pflänzchen interkommunaler Kooperation

Mit der Neudefinition der Planungsregionen laut Landesentwicklungsprogramm 2009 und der Konstituierung im Jahr 2010 wurde die neue Planungsregion "Steirischer Zentralraum" geschaffen, welche neben Graz und dem Bezirk Graz-Umgebung nun auch den Bezirk Voitsberg miteinschließt.

Während sich die Programm- und Projektförderabwicklung zu einem Routinefeld entwickelt hat, stellt die Ausgleichsfunktion zwischen Politik und Verwaltung auf unterschiedlichen Ebenen der Gebietskörperschaften nach wie vor oftmals eine Herausforderung dar und bedarf einer gewissen Beharrlichkeit und Diplomatie durch die RegionalmanagerInnen.

Auf Basis des aktuellen regionalen Verkehrskonzeptes für die Region Graz und Graz-Umgebung ist eine gemeindeübergreifende Bearbeitung des Themas Verkehr ein entscheidender Faktor für die Standortentwicklung.

Aktuell besteht ein hoher Bedarf an Koordinierung des Ausbaus der technischen Infrastruktur, um effiziente und kostengünstige Netze sicherzustellen und Kapazitätsengpässe zu vermeiden.
Interkommunale Kooperationen bedürfen eines langen gegenseitigen Lernprozesses. Der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen Städten und ihren Umlandgemeinden benötigt Zeit und eine Intensivierung der Kooperation ist nur schrittweise möglich.

Melanie Lutz: Kooperationsplattform Stadtregion - auf dem Weg zu einem österreichischen Bewusstsein für den Mehrwert stadtregionaler Zusammenarbeit

Das Ziel einer österreichischen Stadtregionspolitik muss es sein, leistbaren Wohnraum, Naherholung,  Arbeitsstätten und alle Arten der Daseinsvorsorge bestmöglich zu vereinen und die individuelle Mobilität sicherzustellen.

Stadtregionen bilden den logischen Kontrapunkt zum „Ländlichen Raum“. Während man mit letzterem  ein klares Bild verbindet, das mit Naturraum, ländlicher Idylle und Tradition verbunden wird, sind die meisten Menschen Stadtregionen gegenüber voreingenommen, weil sie für Dichte, Verkehr und gesellschaftliche Vielfalt stehen.

Aufgrund der aktuellen  Trends innerhalb von Stadtregionen kommt es jedoch zu ungleicher fiskalischer Entwicklung zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden, zu starker Zersiedelung und Zunahme des Flächenverbrauchs, zu hohem Ressourcenverbrauch sowie zu teilweise unzureichender Erschließung mit Leistungen des ÖPNV.

Die „Kooperationsplattform“ ist der Österreichische Stadtregionstag. Zwischen den Kernstädten und den Umlandgemeinden bestehen oft ganz massive Interessensgegensätze, mit denen es bei der Etablierung stadtregionaler Kooperation umzugehen gilt. Die Einrichtung eines formalen (am besten rechtlich verankerten) Forums als permanente Einrichtung des regelmäßigen Austausches hat sich in vielen Fallbeispielen als Erfolgsfaktor für eine längerfristige erfolgreiche Kooperation erwiesen.

Stadtregionen bedürfen einer übergeordneten Stadtregionspolitik, die durch Bund und Länder gesteuert und koordiniert wird. Den Bundesländern kommt verstärkt die Rolle zu, Impulse zu geben, zu vernetzen, zu koordinieren und zu fördern. Städte und Gemeinden als Hauptbetroffene müssen sich aktiv am Aufbau von Stadtregionen beteiligen und das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kooperationen stärken.

Siedlungsmäßige Ballungsräume sind wirtschaftlich besonders erfolgreich, wobei der Erfolg mit der Größe zunimmt. Menschen in größeren Agglomerationen sind produktiver als jene in kleineren Agglomerationen, sie haben eine höhere Wertschöpfung und verdienen mehr.

Karoline Mitterer, Thomas Prorok: Finanzierung und Organisation in Stadtregionen

Die Funktion einer Gemeinde wirkt sich auch auf die finanzielle Situation aus. Dabei zeigt sich, dass die überregionalen und regionalen Arbeitszentren die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben aufweisen.

Bei Betrachtung der finanziellen Leistungsfähigkeit zeigt sich, dass Arbeitszentren im Stadtumland die deutlich besten Finanzkennzahlen aufweisen. Diese Gemeinden können einerseits auf hohe Kommunalsteuereinnahmen zurückgreifen, andererseits können sie aber die Infrastrukturleistungen von den zentralen Städten mitnutzen und weisen daher im Vergleich zu den zentralen Städten geringere Pro-Kopf-Ausgaben auf.

Die zentralen Städte erzielen zwar sehr hohe Einnahmen, haben jedoch aufgrund ihrer zentralörtlichen Funktion auch ein erhöhtes Ausgabenerfordernis und dementsprechend die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben. Insgesamt ergibt sich für diese Gemeinden die schlechteste Freie Finanzspitze mit Auswirkungen auf die Investitionen.

Vier Modelle werden vorgeschlagen:

Ein stadtregionales Management im Sinne des „Regional Government“-Ansatzes stellt eine   übergeordnete Vernetzungs- und Koordinationsstruktur dar, die in erster Linie strategische Aufgaben mit Schwerpunkt auf Koordination und Vernetzung übernimmt.

Das Ziel einer regionalen Planungs- und Entwicklungsgemeinschaft ist die Optimierung der Raumnutzung und Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung in der Region.

Seit 2011 können in Österreich auch Mehrzweckverbände zur Besorgung mehrerer oder sämtlicher Angelegenheiten der Wirkungsbereiche der Gemeinden gegründet werden.

Als Alternative zur aktuell insbesondere in der Steiermark forcierten Fusion bietet sich die Zusammenfassung der Gemeinden zu einer „Gebietsgemeinde“ an.

Eine verstärkt aufgabenorientierte Mittelverteilung der Ertragsanteile müsste unter Berücksichtigung von sozio-demografischen und geografisch-topografischen Rahmenbedingungen erfolgen. Für die Gemeinden einer Stadtregion bedeutet dies, dass diese Gemeinden mehr Mittel aus dem Finanzausgleich bekommen sollen.

Bernhard Müller: Auf dem Weg zum Herzstück Europas - der Regionsgedanke in der Europäischen Union

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde 2009 die Bedeutung des Grundsatzes der lokalen und regionalen Autonomie ausdrücklich anerkannt.

An den Organisationen AdR, KGRE, RGRE und ihren Ausrichtungen sowie Aufgabengebieten zeigt sich, dass die Europäische Union bzw. der Europarat erkannt haben, dass die Bedeutung der kommunalen Verwaltungen und des Regionsdenkens steigt. Ziel muss es sein, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der Union zu stärken, Strukturgefälle durch gezielte Förderungen zu verringern und die Demokratie zu festigen.

Die europäischen Kommunen müssen als Investitionsmotor, der Beschäftigung schafft, gezielt unterstützt werden. So werden beispielsweise in Österreich 85 % der heimischen Wirtschaftsleistung in Städten erbracht. Einer finanziellen Aushungerung der Städte und Gemeinden durch Nationalstaaten bzw. Provinzen (Bundesländer) ist auf europäischer Ebene entschieden entgegen zu treten.

Johannes Schmid: Die „Regionalgemeinde“ – gemeinsame Lösungsstrukturen im kommunalen Bereich

Der bestehende Artikel 120 B-VG wurde politisch kontrovers diskutiert und fristet nunmehr seit über 90 Jahren ein rechtliches „Schattendasein“.

Die Gemeindeförderung der Länder hat ebenso wie der Finanzausgleich häufig  strukturkonservierende Wirkung. Die bisherigen Kooperationsformen sind von einem pragmatischen Zugang zu aktuell sachgerechten Lösungen geprägt und folgen keinem einheitlichen und planmäßigen Gestaltungsprinzip. Sie führen zunehmend auch zu einer unsystematischen Vielfalt sowie zu einem hohen Abstimmungsaufwand.

Die Einführung der Regionalgemeinde sollte als Alternative zur Gemeindefusion gesehen werden. Es ist somit nicht mehr erforderlich, einzelne Gemeinden aufzulösen. Vielmehr ist es durch die Regionalgemeinde möglich, die kommunalen Gebietskörperschaften zu stärken.  Ortsgemeinden werden in die Lage versetzt, einerseits zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und andererseits trotzdem ihren BürgerInnen eine bürgernahe und effektive Verwaltungsebene anzubieten.

Walter Leiss: Die Gebietsgemeinde - ein Relikt der Vergangenheit als Lösungsansatz für die Zukunft?

Mit der B-VG Novelle im Jahr 2011 wurden die Möglichkeiten für Kooperationen und Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden wesentlich verbessert. Es wurden nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, sogenannte Mehrzweckverbände zu gründen, sondern Gemeindeverbände können auch über Landesgrenzen hinweg gebildet werden. Ebenso wurde explizit die Möglichkeit zum Abschluss öffentlich rechtlicher Verträge zwischen den Gemeinden verankert. Für darüber hinaus gehende Reformansätze wurde bis jetzt jedoch keine Verfassungsmehrheit gefunden.

Natürlich ist es denkbar, die Länder abzuschaffen bzw. zu drei, vier Großregionen zu vereinen. Diese Überlegungen sind bisher aber an den realpolitischen Gegebenheiten gescheitert. Ebenso könnte in diesem Zusammenhang diskutiert werden, die Bezirksverwaltungsbehörden aufzulassen und sämtliche Agenden auf neu zu schaffende Gebietsgemeinden zu übertragen.

Bevor neue Modelle angedacht und gefordert werden, sollten bestehende Möglichkeiten für Zusammenarbeit forciert  werden. Notwendig wäre auch eine Aufgabenreform  mitsamt einer neuen Kompetenzregelung. Hemmnisse, die eine Zusammenarbeit erschweren, sind zu beseitigen.

Detlef Wimmer: Fusion von Bezirkshauptmannschaften am Beispiel Oberösterreich

Das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Reformüberlegungen bietet die Bezirksebene: Den Bezirken fehlt der demokratische Rückhalt und damit der Einsatz legitimierter (auch persönlich betroffener) Mandatsträger für ihren Bestand. So ernüchternd das vielleicht klingt, ist die Reform auf der Ebene der Bezirke der „Weg des geringsten Widerstandes“ in einer Gesamtschau von Verwaltung und Gesetzgebung.

Eine Analyse zeigt, dass die kostengünstigeren Bezirksverwaltungsbehörden (etwa 60 bis 70 Euro je Einwohner und Jahr) eine Bevölkerungszahl von zumindest rund 100.000 Einwohnern aufweisen. Das sollte - von regional spezifischen Ausnahmen abgesehen - auch ein längerfristiger Richtwert für die Größe von Bezirksverwaltungsbehörden sein.

Die Zusammenlegung von nur drei Bezirkshauptmannschaften in Oberösterreich spart nach Aussage von Landeshauptmann Josef Pühringer pro Jahr 3,25 Mio. Euro ein.

Resümee des Herausgebers

  • Regionalplanung bedarf eines „langen Atems“ und stößt an realpolitische Grenzen. Ziele sind leistbares Wohnen, Naherholung, Beschäftigung, Daseinsvorsorge, Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur und Mobilität.
  • Problembereiche sind die ungleiche Finanzausstattung von Kernstadt und Umlandgemeinden, die starke Zersiedelung und die unzureichende Erschließung durch den ÖPNV.
  • Der zentralörtlichen Funktion sollte durch eine aufgabenbezogene Finanzausstattung entsprochen werden. Die zentralen Städte sollten auch im Interesse des ländlichen Raumes gestärkt werden.
  • Mehrere Modelle des stadtregionalen Managements, wie z.B. Mehrzweckverbände und Regionalgemeinden, werden vorgeschlagen. So wird die Regionalgemeinde als Alternative zur Fusion gesehen, andererseits wird die Ansicht vertreten, das es ausreicht, die Zusammenarbeit der Gemeinden zu forcieren.
  • Notwendig wäre auf jeden Fall eine Aufgabenreform samt neuer Kompetenzregelung. Wie die Erfahrung lehrt, handelt es sich um eine „unendliche Geschichte“.
  • Als kostengünstige und am ehesten realisierbare Reformmaßnahme wird die Zusammenlegung von Bezirken vorgeschlagen.
  • Nach Meinung des Herausgebers wäre die Zusammenfassung der Gemeinden eines Bezirkes zu einer Stadt mit eigenem Statut und Übernahme der Bezirksverwaltungsagenden die konsequentere, klare und effizienteste Lösung, wenn der politische Wille vorhanden ist.
  • Die lokale und regionale Autonomie sollte von der EU zur Festigung der Demokratie sowie des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts weiter gestärkt werden.
  • Einer Vielfalt von wohl begründeten Vorschlägen wird mit einer noch größeren Vielfalt von Argumenten, vermeintlichen, möglicherweise auch tatsächlich vorhandenen, politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Vorbehalten begegnet. Im Vordergrund steht meist nicht das Bestreben, die Reform voranzutreiben, sondern zu begründen, wieso etwas nicht geht. Meist siegt das „Bauchgefühl“ über rationale Überlegungen des „Kopfes“.
  • Stadtregionen haben Zukunft, wenn die Politik die Herausforderung annimmt und die Reform unverzagt weiter vorantreibt.

Herausgeber
Obersenatsrat  Univ.Doz. FH-Prof. Dr. Friedrich Klug, Institutsleiter des IKW und Generaldirektor der Linzer Lokalbahn AG     

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