In Memoriam Univ. Prof. Kurt W. Rothschild

IKW-Schriftenreihe Nr. 122 - Linz, 2011

Vorwort „In Memoriam Kurt W. Rothschild“

Der Tod kommt meist unverhofft, aber immer zu früh – dieser Gedanke kam mir sofort ins Gedächtnis, als ich plötzlich vom Ableben des hochgeschätzten Doyens der österreichischen Volkswirtschaftlehre am 15. November 2010 erfuhr. Rothschild war nicht nur ein angesehener, international bekannter Professor und Gelehrter, sondern vor allem ein guter, verständnisvoller und geistreich-humoriger Mensch – ein „Weiser“ im wahrsten Sinne des Wortes mit einer selten anzutreffenden Kombination von Intelligenz, Bescheidenheit, Toleranz und feinsinniger Satire.

Er hatte es in seinem Leben nicht leicht gehabt. So mussten er und seine Frau Vally, mit der er fast 75 Jahre lebte, im schicksalsschweren Jahr 1938 von Wien über die Schweiz nach Glasgow emigrieren, wo er an der dortigen Universität lehrte. Sein Artikel wurde im Economic Journal von John Maynard Keynes veröffentlicht. Nach seiner Rückkehr nach Österreich im Jahr 1947 arbeitete er als Wissenschaftlicher Referent im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und bekam 1966 einen Lehrstuhl an der Hochschule/Universität Linz als einer der Gründungsprofessoren. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1985 lebte er mit seiner Frau in Wien, war aber bis ins hohe Alter als Berater des Wifo tätig und als Autor und Vortragender hoch geachtet.

Rothschild wurden Ehrendoktorate der Universitäten Aachen, Augsburg, Bremen und Leicester und zahlreiche Auszeichnungen, wie das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und der Bruno-Kreisky-Preis als Sonderpreis für sein publizistisches Gesamtwerk, verliehen. Die Universität Linz veranstaltete ihm zu Ehren seit 1998 jährlich eine Kurt W. Rothschild-Vorlesung. Der Hörsaal war stets überfüllt – vor allem mit jungen Leuten, die seine scharfsinnige Argumentation und seinen feinen Humor sehr schätzten.

Rothschild war nicht nur ein Gründungsprofessor der Johannes Kepler Universität Linz, sondern auch seit 1969 gemeinsam mit dem ersten Rektor Univ.Prof. Dr. Ludwig Fröhler Mitbegründer des von der Stadt Linz geförderten Institutes für Kommunalwissenschaften (IKW). Seither wird in ununterbrochener Reihenfolge die IKW-Schriftenreihe „Kommunale Forschung in Österreich“ herausgegeben. Der vorliegende Band 122 ist seinem hochgeschätzten Ehrenmitglied Kurt W. Rothschild gewidmet.

Der Herausgeber Friedrich Klug war im Jahr 1969 einer der ersten Absolventen der Linzer Hochschule und daher von Anbeginn an mit Rothschild verbunden. Ein fachliches Naheverhältnis bestand nicht nur über das IKW und seine Schriftenreihe, sondern auch über das Institut für Betriebswirtschaftslehre gemeinwirtschaftlicher Unternehmen, an dem der Herausgeber seit dem Jahr 1972 zuerst als Lehrbeauftragter und dann als Universitätsdozent tätig ist. Prägenden Einfluss als Lehrer hatten insbesondere Kurt W. Rothschild, Theo Thiemeyer, Karl Oettle und der Doktorvater des Herausgebers Hans Krasensky – ihr wissenschaftlicher Nachlass hat nach wie vor an Aktualität nichts verloren.

Das IKW verlor mit Prof. Rothschild sein prominentestes Mitglied; er hinterlässt eine große Lücke in menschlicher und wissenschaftlicher Hinsicht. Geblieben ist uns sein Lebenswerk und seine Gedankenwelt, seine vielen Schriften und Artikel auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre, insbesondere seine sozialwirtschaftlichen Beiträge zur Lohnpolitik („Theory of The Wages“ – seine Habilitationsschrift),  zur Arbeitslosigkeit und zum Arbeitsmarkt. Die Anliegen der ärmeren, von Arbeitslosigkeit und Not bedrohten Bevölkerungsschichten und eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung waren ihm stets ein besonderes Anliegen, was ihn von so manchem „rechts orientierten“ Theoretiker fundamental, ja sogar diametral unterscheidet.

Diese Grundposition kommt in den Beiträgen des vorliegenden Bandes deutlich zum Ausdruck. Als Herausgeber möchte ich einige wichtige Aussagen, die mir persönlich besonders bedeutsam erscheinen, erwähnen. Dies kann und darf keineswegs die Lektüre der einzelnen Artikel ersetzen, sondern ist als Versuch zu werten, einige Kernaussagen herauszustreichen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können und zu  wollen.

Der Beitrag von Rainer Bartel beginnt mit einer der wichtigsten Aussagen: „Es ist besser, eine wichtige Frage zu stellen als eine unwichtige zu beantworten“. Nicht auf die Antwort, sondern auf die Frage kommt es an, die aus dem Reichtum der Ökonomie mit ihrer Vielfalt von Ideen und Theorien schöpfen kann. Toleranz gegenüber der Vielfalt ist angebracht, auch der nicht rechenbare Bereich des Sozialen ist bedeutsam. Kurt Rothschild war unvoreingenommen beim Vergleich der diversen Forschungsprogramme und Paradigmen. So stand Rothschild (überraschender Weise) dem Beitritt Österreichs zur EU kritisch bis ablehnend gegenüber und folgte nicht dem neoliberalen Mainstream der Privatisierung und Deregulierung. Rothschild war aber so vernünftig, dass er nie eine Theorie als total falsch angesehen hätte, obwohl er sie heftig kritisierte und die Meinung keineswegs teilte. Damit zeigte er seine wahre menschliche und wissenschaftliche Größe, Unabhängigkeit und Bescheidenheit.

Der Beitrag von Hans Bürger, seinem „letzten Prüfungskandidaten“, wird mit dem viel sagenden Satz: „Sie werden verwirrt bleiben, aber auf einem Höheren Niveau“ eingeleitet. Als Ergebnis der Gespräche mit Rothschild wurde das Buch „Wie Wirtschaft die Welt bewegt“ herausgegeben, das großes Aufsehen erregte und zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“ gekürt wurde. Sogar Rothschild hat zugegeben, dass auch er die komplexesten der Finanzprodukte nicht wirklich zu verstehen vermochte. Die wirklichen „Schurken des Finanzdramas“ seien die Ratingagenturen.

Vehement verurteilte er die Aussage von Hayek, dass der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ in die „Kategorie des Unsinns“ gehöre. Das soziale Problem der Verteilungsgerechtigkeit, des Ausgleichs der unterschiedlichen Lebenschancen und des Bildungszuganges waren ihm stets ein besonderes Anliegen. Kapitalbesitzer brauchen hingegen den Markt, den Wettbewerb und das Wachstum und zeigen kein Interesse für das Problem der unteren Einkommensschichten. Im Sinne von Keynes vertrat Rothschild die Ansicht, dass die entscheidenden ökonomischen Fragen nur im Gesamtzusammenhang von Mikro- und Makroökonomie zu beantworten sind und die Zusammenhänge nicht von Einzelhandlungen abgelesen werden können. Die Beobachtung müsse daher von der gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise ausgehen und nicht von der einzelnen Betriebswirtschaft und ihrer Akteure. Es ist daher bezeichnend, dass sich Rothschild stets mit sozialpolitischen und ethischen Fragen beschäftigte. Die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und die große Ungleichheit waren ihm viel wichtiger als die kaufkräftige Nachfrage zur Stimulierung des Wachstums und Gewinnerzielung. Der Neoliberalismus sei eine Ideologie zur Beseitigung des Wohlfahrtsstaates. Wichtig ist für Rothschild der direkte Eingriff des Staates durch aktive Fiskalpolitik. Als Gegengewicht zu den immer mächtiger werdenden Konzernen, müsse der Staat intervenieren und den Finanzsektor beaufsichtigen. Notwendig wären auch Transaktionssteuern, transparente Bilanzen, die Ausschaltung von Steueroasen und die Abschaffung von Hedge-Fonds und riskanten Derivatgeschäften. Ein wirtschaftlich einflussreicher öffentlicher Sektor wäre anzustreben, um die Rückkehr zu „business as usual“ zu vermeiden.
Für Rothschild sind die Wirtschaftswissenschaften eine Summe verschiedener Disziplinen von der Soziologie, der Psychologie, der Geschichte bis hin zur Rhetorik und politischen Philosophie.

Der Beitrag von Ewald Nowotny lautet: „Kurt W. Rothschild“ – Der große Pluralist der Ökonomie in Österreich“ und sagt damit das Wesentliche bereits prägnant aus: Er ist vielfältig und tolerant, dennoch kritisch gegenüber der etablierten ökonomischen Wissenschaft. Rothschild ist realwirtschaftlich ausgerichtet und beschäftigt sich mit dem zentralen Thema der Arbeitsmarktpolitik, aber in seinem wichtigen Buch „Ethik und Wirtschaftstheorie“ (1992) auch mit der Ethik. Rothschild sieht den wirtschaftlichen Prozess als Teil der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und nicht isoliert als Spezialwissenschaft. Marktversagen war für Keynes und Rothschild ein „Nebenprodukt“ der Marktwirtschaft, das durch eine „weise“ Wirtschaftpolitik des Staates gemildert werden kann. Rothschild vermisste die notwendige Vielfalt, die das Fach haben müsste, um die komplexe Wirklichkeit mit all ihren Facetten zu erklären. Die wachsende Skepsis gegenüber den marktwirtschaftlichen Modellen ist angesichts der Finanzkrise durchaus angebracht. Die Zusammenhänge zwischen der wachsenden Ungleichheit und der wirtschaftlichen Instabilität und Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen wurden von Rothschild aufgezeigt und bedürfen noch weiterer intensiver Forschungen, insbesondere, was die Rolle des öffentlichen Sektors als Stabilisierungsfaktor betrifft.

Walter Otto Ötsch würdigt Kurt Wilhelm Rothschild als Vertreter einer „Politischen Ökonomie“ in genuiner Bedeutung. Die Wirtschaft ist in ein „größeres Ganzes“ „eingebettet“. Für die neoliberalen Theorien ist Wirtschaft mathematischer, mechanischer Natur – sie bildet ein Universum für sich. Der Bezug zur Gesellschaft, Politik und Geschichte geht dabei verloren - die Beziehungen werden unpersönlich. Der Staat und die Politik werden zurückgedrängt und konzeptionell der Wirtschaft einverleibt. Politik und Staat werden zum „Markt“ und zu „Privatunternehmen“ – Deregulierung und Privatisierung werden zum alles beherrschenden Dogma. Rothschild hat immer ein klares Bewusstsein über die Machtverhältnisse im Kapitalismus besessen und die wirtschaftlich Mächtigen und die einflussreiche neoliberale Lehre für die Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht.

Friedrich Schneider schließt den Band mit „Einigen persönlichen Bemerkungen zu den Begegnungen mit Prof. Dr.Dr.h.c. Kurt Rothschild“. Schneider war von Rothschild bereits als junger Doktorand anlässlich seines ersten Kontaktes beeindruckt. Rothschild legte auf eine saubere theoretische Darstellung großen Wert und befasste sich nicht nur mit der „reinen Theorie“, sondern mit den wirklichen, alltäglichen Problemen und wartete mit brauchbaren, empirischen Ergebnissen auf. Auffallend waren seine Bescheidenheit, sein Witz, Humor und sein Charme bei seinen Vorträgen, zumal bei den von den Volkswirten der Universität Linz ins Leben gerufenen „Kurt W. Rothschild Lectures“, die sich großen Zuspruchs erfreuten.

Möge dieser Sammelband zum toleranten, universellen Denken im Sinne von O.Univ.Prof. Dr. Dr.h.c.mult Kurt W. Rothschild beitragen, viele Denkanstöße zur Überwindung von sozialer Not, Hunger und Krisen liefern und in die Ökonomie anstelle rein mechanistischen Denkens auch mehr Menschlichkeit, Ethik und Moral hineintragen!


Linz, im Juni 2011


Friedrich Klug
Herausgeber und Schriftleiter IKW

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